Wir stellen Andreas, der von 1988 bis 1990 in Bolenge gelebt hat, wieder ein paar Fragen zu seinen Beobachtungen – der erste Teil der Fragen kann HIER, der zweite Teil kann HIER nachgelesen werden.

Andreas, du hast zuletzt sehr positiv über die technische und digitale Entwicklung berichtet. Das ist ein Blick auf den Kongo, der zunächst einmal überrascht. Wenn man den Nachrichten in Deutschland so folgt, dann wird über den Kongo doch vor allem im Zusammenhang mit Krieg, Korruption und Krankheiten berichtet. Wie erklärst du dir das?

Andreas: Dass ich so positiv berichte, hat auch etwas mit den Mitgliedern der Delegation zu tun, mit der ich in diesem Jahr hier unterwegs bin. Gemeinsam haben wir uns vorgenommen, in diesem Jahr einen Blick auf Ressourcen zu entwickeln. Über Defizite wird ja in der Tat schon genug berichtet. Für mich ist dieser Blick auf Ressourcen aber nicht so neu; ich erinnere mich daran, dass ich schon damals, als ich hier meinen Zivildienst absolviert habe, mehr von Gemeinsamkeiten statt Unterschieden, mehr positiv als negativ erlebt habe. Das Leben hier hat sich für mich nicht als Dauer-Krise angefühlt, und ich denke, das ist es für unsere Partner*innen heute auch nicht.

Nun waren wir ja vier Tage lang auf dem Kongo und Ubangifluss unterwegs und haben das Dorf Bolenge auf der Landseite und viele Dörfer auf der Flussseite, Schulen, Krankenstationen und Gemeinden besucht. Was ist dir hier aufgefallen?

Andreas: Auch hier wieder ist mir der technische Fortschritt aufgefallen. Auch noch nach 100 bis 200 Kilometern hinter Mbandaka finden sich Solarpanels, Satelitenschüsseln (mit denen beispielsweile die Spiele von Borussia Dortmund verfolgt werden können), und Menschen bieten einen Nachrichtenservice an, in dem sie Nachrichten über ihre priavten Funkgeräte gegen Geld versenden. Momentan gibt es selbst in Lilanga Internet über den Anbieter Vodacom, und ich bin sehr optimistisch, dass in den nächsten Jahren auch andere Anbieter dazu kommen werden.
Wir haben viele Neubauprojekte besucht – die örtlichen Gemeinden bauen viele neue Kirchengebäude, oft mit Unterstützung des Kirchenkreises. Auch ist mir aufgefallen, dass wir entlang des Flusses viel Kulturland vorgefunden haben.. immer wieder gibt es Maniokfelder oder Bananenstauden. Und die Märkte in den Dörfern sind enorm gewachsen, vor allem in Bobangi und Lilanga. Dort werden alle Waren für den täglichen Bedarf gleich an miteinander konkurierenden Ständen angeboten. Es ist deutlich zu spüren, dass in diesen Orten viel mehr Geldverkehr stattfindet, als vor 10 Jahren.
Und dennoch möchte ich den Blick natürlich nicht vor Problemen verschließen: In vielen der Dörfer, die wir besucht haben, hatten die Kinder Anzeichen von Mangelernährung und Vernachlässigung. Gleichzeitig gibt es aber ausreichend Nahrungsmittel und durch den täglichen Fischfang im Kongo und Ubangi gibt es auch ausreichend Eiweißquellen. Unsere Partner*innen weisen uns darauf hin, dass die Mangelernährung der Kinder in den Dörfern immer noch eine Bildungsfrage sei. Obwohl Mütter nach der Geburt ihrer Kinder dafür sensibilisiert werden, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung für die Entwicklung der Kinder ist, greift das bestehende Konzept (noch) nicht.
Insgesamt hat sich im Gesundheitssektor aber viel getan: In Lilanga haben wir beispielsweise ein staatliches Krankenhaus besucht, in dem die Preise für die Behandlungen gemeinsam mit der Dorfgemeinschaft ausgehandelt wurden. Kosten, die von den Behandlungsgebühren nicht gedeckt sind, werden vom Staat refinanziert. Daher hält das Krankenhaus die Ausgabe von Medikameten genau nach und führt sehr intensiv Statistik über Behandlungen, die Anzahl der Geburten mit und ohne Komplikationen, und über Impfungen der Kinder. In einem anderen Krankenhaus in Maita wurden kostenlos Moskitonetze an alle Familien ausgegeben.

Das klingt gut mit dem staatlichen Krankenhaus, oder?

Andreas: Ja, auf die Initiative von NGOs und Vereinten Nationen hin muss der Staat aktiv werden und in die Gesundheit und Schulbindung der Bevölkerung investieren. Dennoch schaffen die Kredite, die der Staat für den Neubau von Schulen und Krankenhäusern bei der Weltbank aufnimmt, auch wieder neue Abhängigkeiten und Verbindlichkeiten. Wir merken, dass es hier kein Richtig und kein Falsch gibt, und dass komplexe Systeme wie etwa Gesundheitsversorgung auch komplexe Antworten und Lösungsstrategien benötigen. Diese Reise hat uns bislang schon gezeigt, dass einfache Antwort oft zu kurz greifen.