Und dann liegt es am frühen Morgen endlich vor uns: Am Ufer des Ubangiflusses, im Dorf Bobangi, liegt das „Bateau Ambulance“, von dem wir schon so viele Fotos gesehen, so viele Geschichten gehört, so viele Berichte gelesen haben. Für die meisten Mitglieder unserer Delegation ist es das erste Mal, dass wir das Boot besuchen. Als wir am Vorabend nach Einbruch der Dunkelheit in Bobangi ankamen, war es zu dunkel für einen Besuch. Lichtverschmutzung gibt es hier im Equateuer (noch) keine. Aber heute morgen ist es endlich soweit, und wir lernen die Crew der schwimmenden Krankenstation kennen.
Dr. Yourssen Bossolo, ein Arzt aus Mbandaka und Bolenge, ist mit einem 13-köpfigen Team bis zu sechs Mal im Jahr meist mehrere Wochen auf dem Kongo und Ubangifluss unterwegs und leistet medizinische Hilfe in entlegenen Dörfern am Fluss. Bei dieser Tour war nun das erste Mal ein Zahnarzt dabei: Harald Flügge ist drei Wochen auf dem Ambulanzboot mitgefahren. Wir haben Ihn in Mbandaka getroffen und er hat uns einen kleinen Einblick in seine Erfahrung an Bord gegeben.

Wie hast du deine Zeit auf dem Ambulanzboot erlebt?

Harald: Zu Beginn war ich aufgeregt und euphorisch, als ich endlich in die Demokratische Republik Kongo fliegen konnte um auf dem Ambulanzboot mit zu arbeiten: Wie wird das Team mich aufnehmen? Wie wird die Arbeit vor Ort sein? Wie klappt die Verständigung?

Die erste Zeit, bis wir endlich in Mulumbu ankamen fiel mir schwer. Wir sind 24 Stunden nur Boot gefahren über den Kongo und Ubangi. Die entlegenen Dörfer, die das Ambulanzboot besucht sind nicht über Straßen erreichbar. 24 Stunden mit 15 Personen auf einer Fläche von 4,20m Breite und 17m Länge.
John, der Verantwortliche für die Außenbootmotoren und einzige nicht-Mediziner an Bord musste immer den Kopf einziehen, weil das Dach nur 1,80m hoch ist. Zum Glück hatte ich schon nach der ersten Nacht das Gefühl, dass ich mich gut mit den Umständen arrangieren kann, trotz der Enge auf dem Boot, „Duschen“ unterm Wassereimer und dem ungewohnten Essen. Die Tour dauert ja nur drei Wochen.

In Mulombu, dem ersten Dorf, angekommen durfte ich dann endlich arbeiten. Die meisten Behandlungen finden nicht auf dem beengten Boot statt, sondern an Land. Das Boot hält nur in Dörfern, die über eine Gesundheitsstation verfügen die die Nachsorge sicher stellen und deren Räume genutzt werden. Operiert wird in zwei aufblasbaren Zelten, die das Ambulanzboot an Bord hat. In einem der mit Blättern gedeckten Häuser habe ich einen Stuhl aufgebaut auf, um mit meiner Kopflampe und meinem mitgebrachten Werkzeug Zähne zu ziehen und Wurzelreste zu extrahieren. Dass wir alle zwei bis vier Tage den Ort gewechselt haben, hat es besonders schwierig gemacht: Immer wieder muss ich neu überlegen, wie aus einem schlichten Raum ein Behandlungszimmer wird. Ohne Absaugung ist Zähneziehen eine sehr unübersichtliche und blutige Angelegenheit.
Dennoch gab es für jedes Problem eine Lösung. Mposo, der sowohl mir als auch im OP Dr. Bosolo assisitert hat, lernt sehr schnell. Jeden Tag wurden seine Handgriffe sicherer. Ohne seine Übersetzung hätte ich mich nicht mit den Patient*innen verständigen können.

Wer gehörte noch zum Team?

Harald: Mama Mpembe ist Hebamme und hält unter anderem sehr anschauliche Vorträge über Familienplanung. Mit Hilfe einer bunten Halskette erklärt sie zum Beispiel den weiblichen Zyklus. Dabei steht jede Perle für einen Tag.
Mimi, Theresia und Charmente haben im OP assistiert. Es waren immer drei OP-Tische aufgebaut und im Schnitt wurden ein Dutzend OPs am Tag durchgeführt. Neben Yourssen Bosolo haben auch Dr. Bondala, Dr. Molengo und Dr. Nkoy teilweise bis tief in die Nacht operiert. Auch Dr. Eale stand ständig am OP-Tisch. Die jungen Ärzte arbeiten seit ein paar Jahren mit Bosolo und haben bei Ihm, im Krankenhaus in Bolenge, ihre dreimonatige praktische Ausbildung gemacht. Serge hat den ganzen Tag an Land am Mikroskop verbracht und Blutproben unter anderem auf Malariaerreger getestet. Dieu Merci Bamanga war dafür verantwortlich, dass sterile Kleidung und Arbeitsgeräte nach Gebrauch in einem großen Druckkochtopf wieder sterilisiert wurden.
Der Bootsführer Jean Ekotemela Esembi hat die Tage häufig allein auf der Brücke verbracht und uns nachts auch in tiefster Dunkelheit sicher ins nächste Dorf gefahren.

Wie würdest du deinen Einsatz auf dem Ambulanzboot abschließend beurteilen?

Harald: Das Ambulanzboot funktioniert nur in Teamarbeit. So habe auch ich nachts als „Armleuchter“ am OP-Tisch gestanden und mit meiner Taschen- und Stirnlampe den Ärzten bei der OP geleuchtet. Neben der medizinischen Arbeit fällt ja auch ganz viel „alltägliches“ an: Essen will gekocht und Wäsche gewaschen werden, es muss gespült, aufgeräumt und geputzt werden. Nach und nach bin ich vom Gast zu einem Teammitglied geworden und habe mich als Teil der Gruppe sehr wohl gefühlt. Trotz der harten Arbeit wurde viel gelacht und gescherzt. Und weil mich die Gräten im Gemüse gestört haben, bekam ich sogar extra Gemüse ohne Fisch gekocht.

Bei meiner Arbeit habe ich jeden Tag gemerkt, wie groß der Bedarf an zahnmedizinischer Versorgung ist. Auch wenn meine Arbeit den Menschen sehr geholfen hat, reicht ein kurzer Einsatz von drei Wochen natürlich nicht aus. Die Region Equateur braucht eine zahnmedizinische Infrastruktur.

 

Dies ist übrigens schon die 45. Tour seit 2011 gewesen – der Kirchenkreis Dortmund unterstützt dieses Projekt. Und dank Harald Flügges Gastgeschenk wird das Boot nun auch von einem großen Fußballfan-Schal von Borussia Dortmund geschmückt. Wer mehr über das Ambulanzboot erfahren möchte: HIER gibt es ein neues Video zum Projekt, Kontaktdaten und Infos zum Spendenkonto.