Delegation aus Dortmund und Lünen besuchte Partner in Salford/GB

Vorne Altar und Kreuz, hinten Spielecke und Küche. Nicht außergewöhnlich in einer englischen Kirche, auch wenn das Kirchgebäude kein modernes, multifunktionales Gemeindezentrum ist, sondern eher an eine altehrwürdige Kathedrale erinnert.

Über solche Besonderheiten, vor allem aber die Art und Weise, wie Gemeinden im englischen Salford mit vielfältigen Herausforderungen angesichts knapper Finanzmittel umgehen, informierte sich eine zwölfköpfige Delegation des Evangelischen Kirchenkreises Dortmund bei einer Studienreise im März.

Gastgebende waren Vertreterinnen und Vertreter der anglikanischen Kirche in Salford. Die 300.000-Einwohner-Stadt, deren Grenze fließend in die Metropole Manchester übergeht, unterhält seit vielen Jahren eine Partnerschaft mit Lünen, deren Evangelische Gemeinden zum Kirchenkreis Dortmund, Lünen und Selm gehören.

Auch wenn einzelne Vertreter der örtlichen Gemeinden über depressive Anflüge angesichts rückläufigen öffentlichen Einflusses und problematischer wirtschaftlicher Perspektive berichteten, beeindruckten viele Initiativen und Formen des Engagements die deutschen Gäste stark. Sorgen bereiten den Menschen, insbesondere im Bezirk rund um Manchester, auch die absehbaren Folgen des Brexit. Der Strukturwandel der Region, die im 19. Jahrhundert als Wiege der industriellen Revolution galt, hin zum modernen Medien- und Universitätsstandort ist augenfällig und nach wie vor in vollem Gange. Zu großen Teilen mitfinanziert wurde er über EU-Mittel. Wie die Entwicklung ohne deren strukturelle Unterstützung fortgehen wird, bereitet Verantwortlichen in Politik und Kirche Kopfzerbrechen. Schon jetzt haben viele Gemeinden mit den sozialen Folgen des Strukturwandels zu kämpfen haben. Die Arbeitslosigkeit in großen Teilen der Stadt ist hoch, die soziale Spaltung droht, sich zu verfestigen.

Umso mehr bemühen sich die Kirchen, vor Ort Angebote der Unterstützung und des Austausches zu organisieren. So wechseln sich einige Gemeinden in den Wintermonaten wochentäglich ab, um Obdachlosen aus den Stadtteilen für jeweils eine Nacht Unterkunft und Verpflegung anzubieten. Wie zahlreiche andere Aktivitäten auch – etwa Spielangebote für Kinder, Kreativkurse oder Musizieren in einer Band – geschieht das meist in der Kirche selbst oder deren Vorraum. Separate Gemeindehäuser sind in Salford selten zu finden.

Fast alles, was außerhalb von Gottesdiensten in den Kirchen passiert, gestalten Ehrenamtliche. Eine Gemeinde verfügt in der Regel lediglich über eine hauptamtliche Person – die Pfarrerin oder den Pfarrer. Und auch der ist, so lernte es die deutsche Gruppe in einem Außenbezirk von Salford kennen, zuweilen ehrenamtlich und in Teilzeit tätig.

Auch in solchen Konstellationen spiegelt sich die finanzielle Misere der Church of England wider. Zwar verfügt die Kirche, die seit der Herauslösung aus der katholischen Kirche durch König Heinrich VIII. im 16. Jahrhundert Staatskirche ist, über zahlreiche Ländereien, Immobilien und auch beträchtliche weitere Kapitalanlagen. Für die laufende Finanzierung aber, etwa von Gehältern oder dem Unterhalt historischer Kirchen, ist nur unzureichend gesorgt. Denn die Church of England kennt keine Kirchensteuern. Geld für laufende Projekte muss über einzelne Zuweisungen, Stiftungen, Kooperationen mit lokalen Unternehmern und Spenden erwirtschaftet werden.

So definiert sich die Größe eines Kirchenbezirks auch nicht über die Anzahl der formalen Kirchenmitglieder, wie es in Deutschland der Fall ist, sondern über die Zahl aller Menschen, die im Einzugsgebiet leben. Jede und jeder hat in Großbritannien einen Rechtsanspruch auf kirchliche Amtshandlungen wie Hochzeiten oder Beerdigungen. Dabei ist es unerheblich, ob sie oder er getauft ist.

Entsprechend different zu heimisch Vertrautem erlebten die deutschen Gäste auch das Selbstverständnis der Kirchenvertreter. David Walker beispielsweise, der Bischof von Manchester, der die Gruppe aus Dortmund und Lünen zu einem freundlichen und offenen Gespräch empfing, macht keinen Hehl daraus, gegenüber der Regierung Ansprechpartner für alle Belange von Religion zu sein. So wenden sich auch Vertreter muslimischer Gemeinden vertrauensvoll an den Bischof als Fürsprecher, um rechtlich und politisch ihre religiösen Rechte geltend zu machen. Nicht von ungefähr sind 28 Bischöfe der Church of England Mitglieder im Oberhaus des britischen Parlaments.

Nachhaltigen Eindruck hinterließ bei der Dortmunder Delegation die große Offenheit, die englische Kirchenleute, bei aller formalen Eingebundenheit, an den Tag legen. So zeigte sich die theologische Bandbreite innerhalb der Church of England vielfältig und bunt. Von liturgischen Formen in konservativ-katholischer Tradition über evangelikale Ansätze bis hin zu weitgehender Liberalität scheinen zahlreiche Ausrichtungen in der Kirche von England ihren Platz zu finden.

Exemplarisch dafür steht Chris Lane, den die Dortmunder Gruppe, wie viele andere Aktive, persönlich kennenlernen konnte. Beheimatet in einer unabhängigen evangelikalen Gemeinde, der Langworthy Community Church, hat er mit seiner Frau und mehreren Freunden in einem Problemstadtteil eine nachhaltige Arbeit für und mit Kindern etabliert. In seinem ‚Lifecentre‘, einem Reihenhaus als Anlaufstation, und in Kooperation mit örtlichen Schulen gelingt es, vielen Mädchen und Jungen frühzeitig eine Perspektive aufzuzeigen, die über die vorgezeichnete Karriere im untersten sozialen Milieu hinauszeigt. Mittlerweile hat die Church of England Lane als Dozenten engagiert, um in der Amtskirche über seine erfolgreiche Arbeit zu referieren.

Und auch die Offenheit für unterschiedlichste Nutzungen von Kirchen beeindruckte. So öffnet Manchester Cathedral, die zentrale Kirche in der nordenglischen Metropole, ihren in mehrere Teilschiffe untergliederten Kirchenraum für Pop- und Rockkonzerte, Messen, Lesungen und politische Veranstaltungen (fast) aller Art. Kurz nach Aschermittwoch etwa fand in der Kathedrale eine kommerzielle Gin-Verkostung statt. Selbstverständlich, so David Holgate, stellvertretender Dekan an Manchester Cathedral, erhebt die Kirche dafür eine angemessene Miete. Denn allein die Unterhaltung des Bauwerks kostet rund 3000 englische Pfund am Tag. Ohne Kirchensteuern braucht man da kreative Ideen und Geschäftstüchtigkeit.